Über Sex muss gesprochen werden – sonst hat man bald keinen mehr Die Sexualtherapeutin Andrea Bräu begreift, was andere lange nicht begreifen – und dann entweder zu ihr in die Therapie kommen oder sich irgendwann darauf einstellen müssen, dass die Beziehung unter der fehlenden Kommunikation in Sachen Sex leidet und vielleicht sogar scheitert.
Sie erklärt, was eigentlich offensichtlich sein sollte, viele aber auch nach einiger „Übung“ in Sachen Beziehungen nicht erkennen können: Dass es unglücklich macht, wenn der Partner den lieben langen Tag mehr oder weniger zufällig selbst herausfinden muss, was er tun soll, um den oder die Liebste glücklich zu machen.
Man stelle sich eine typische Frühstückssituation vor. Frisch aus dem Bett und noch reichlich neben sich, wünscht man sich, dass der Partner – bereits munter und vollkommen wach – einen Kaffee bereitstellt. Wie teilt man sich in einer solchen Situation mit? Grunzende Laute, Zeichensprache und als letzte Alternative Rauchzeichen? Wohl eher nicht. Stattdessen sagt man einfach, dass man sich einen Kaffee wünschen würde – als Morgenmuffel versteht der Partner auch den gegrummelten Wunsch. Sicher, es kann auch sein, dass das Gegenüber selbst auf den Gedanken kommt, dass der gerade aufgestandene Partner gerne einen Kaffee hätte. Aber was, wenn ihm dieser Gedanke nicht von allein kommt? Wie lange würde man darauf warten, dass der Partner diese Idee von selbst entwickelt? Und wie schnell würde man dabei innerlich ständig unzufriedener werden?
Viel Mut wird nicht benötigt, um dem Partner mitzuteilen, dass es einen nach einer Tasse Kaffee gelüstet – wobei natürlich schon bei diesen Kleinigkeiten die Übernahme der eigenen Selbstverantwortung beginnt. Oftmals gelingt schon dies nicht. Die Verantwortung für die persönliche Unzufriedenheit wird dann häufig auf den Partner abgeschoben. Getreu dem Motto: Liebt er mich wirklich, weiß er, was ich möchte und brauche und was nicht! Geht es um die kleineren Dinge im Leben, wie eine Tasse Kaffee zum Frühstück, kann diese Taktik aufgehen. Doch was geschieht wohl mit einer derartigen Einstellung, wenn es darum geht, sexuelle Vorstellungen und persönliche Wünsche zu äußern? Die Sexualtherapeutin erlebt dabei täglich in ihrer Praxis, dass es vielen Menschen schwer fällt, eine direkte Kommunikation in Sachen Sex anzuregen. Der Leidensdruck entsteht, weil die Unzufriedenheit des Partners wächst. Aus einem kommunikativen Miteinander wird ein reines Nebeneinander.
Kommunikation funktioniert nicht ohne Selbstwert
Um Verantwortung für die persönliche Sexualität zu übernehmen ist es notwenig, sich dem Partner in einer Beziehung gänzlich zu öffnen. Und das trotz des Risikos, sich angreifbar und damit auch verletzbar zu machen. Um die Entscheidung für eine offene Kommunikation zu fällen, sind großer Mut und ein hoher Selbstwert Grundvoraussetzungen. Beide Eigenschaften sollten übrigens bei beiden Partnern ausreichend ausgeprägt sein, denn der oder die Liebste muss ebenfalls damit umgehen können, wenn der Partner seinen Bedürfnissen Ausdruck verleiht.
Die Angst vor diesen Schritten überwiegt jedoch bei vielen Menschen. Dadurch entsteht oft eine nur oberflächliche Kommunikation in der Beziehung. Gerade im Bereich „Sex“ kann das folgenschwer sein und führt in den meisten Fällen zu unnötigen Missverständnissen.
Das Verlassen der „bequemen Zone“
Um etwas an einer solchen Situation zu ändern, ist viel Mut notwenig. Über den eigenen Schatten zu springen, Neues gegen Altes auszutauschen, Dinge auszuprobieren und aus der Gewohnheit in die Veränderung zu gelangen bedeutet automatisch, die „Komfortzone“ zu verlassen. Um niemanden zu irritieren und da man selbst die Sicherheit vorzieht, wagen viele diesen Schritt nicht, sonder bleiben in der „Komfortzone“ hängen.
Dabei sollte sich die Frage gestellt werden: Würde ich meinem Partner verschweigen, wenn ich Vegetarier wäre? Würde ich ihn darauf hinweisen, dass ich meinen Kaffee lieber mit Milch trinke, wenn er mir einen ohne Milch anbietet? Vermutlich sind die Antworten auf diese Fragen jedermann sofort klar. Beim Thema Sex verändert sich dieses Selbstbewusstsein jedoch plötzlich. Schließlich handelt es sich dabei um das wohl sensibelste Thema in einer Beziehung. Dennoch ist es immer wieder eine Überraschung für Andrea Bräu, wie wenig die Menschen tatsächlich, gerade über dieses Thema, miteinander sprechen.
Als Fazit bleibt der Tipp, Verantwortung für sich selbst und somit auch für die eigene Sexualität zu übernehmen. Die Erfahrung der Therapeutin zeigt: Wer für sich selbst Verantwortung übernimmt, kann scheitern. Wer jedoch diese Verantwortung verweigert, wird auf keinen Fall gewinnen. Auch wenn viele dem Trugbild erliegen, nach dem Motto „Wasch mich, aber manch mich nicht nass!“ leben zu können – es gelingt nun mal nicht, sondern generiert nur die persönliche Unzufriedenheit.Reden beim Sex ist verdammt wichtig.